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Wohnen für alleinerziehende Mütter

In feministischen Debatten und sozialen Studien taucht das Thema alleinerziehende Mütter vor allem im Zusammenhang mit Armut auf: Es ist ein Brennspiegel für die strukturelle Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, im Recht und in den Sozialsystemen ebenso wie für die Doppelbelastung berufstätiger Mütter. Erschwerend hinzu kommt die historisch gewachsene Stigmatisierung dieser Familienform.
Die Organisationen der alten Frauenbewegung hatten sich dem «Problem» unverheirateter Mütter lange Zeit aus einem paternalistischen Fürsorge-Gedanken zugewandt. In den 1970er Jahren fand jedoch ein Umdenken statt, wie die Unterlagen der seit 1914 bestehenden Frauenzentrale (FZ) St. Gallen zeigen. Dort bemühte sich eine Kommission zur Beschaffung von Wohnraum für alleinstehende Mütter in den 1970er Jahren bei Neubauprojekten um Kontingente günstiger Wohnungen. Ziel war ursprünglich ein eigenes Gemeinschaftshaus ‒ nach dem Vorbild von Projekten in Flurlingen (SH) und in Zürich.

Quelle: Kommission zur Beschaffung von Wohnraum für alleinstehende Mütter

Bemerkenswert ist, dass in der Kommission von Beginn an Einverständnis herrschte, dass es sich nicht um ein «Fürsorgeheim» handeln sollte, sondern schlicht um die Bereitstellung subventionierten Wohnraums mit integrierter Kinderbetreuung ‒ ohne weitere Eingriffe in den Familienalltag. Dass eben dieser Bedarf bestand, untermauerte die FZ durch eine Sozialstudie, die 1971 von einem Mitglied der Kommission an der Ostschweizerischen Schule für soziale Arbeit verfasst worden war. Auf dieser Grundlage lobbyierte die Kommission auf städtischer Ebene erfolgreich für die Öffnung von Subventionsinstrumenten: Da alleinerziehende Mütter nicht als Familien anerkannt wurden, waren sie zuvor von Subventionen ausgeschlossen gewesen.
Auch wenn sich die FZ gegen die Stigmatisierung alleinerziehender Mütter einsetzte, zeugen Begriffe wie «unvollständige Familien» noch immer von der Wahrnehmung dieser Familienform als defizitär. Dass sich dies zu verändern ‒ wenn auch nicht völlig aufzulösen ‒ begann, verdankt sich v.a. den Selbstorganisierungsstrukturen: Seit den späten 1970er Jahren entstanden «Vereine alleinerziehender Mütter (und Väter)», die sich mit dem Ziel solidarischer Hilfe im Alltag und der «Aufwertung» von Ein-Eltern-Familien zusammenschlossen.

Quelle: Verein alleinerziehender Mütter und Väter

(jg)

Quellen

Quelle: Verein alleinerziehender Mütter und Väter: Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz, Bestand: AFGO.072.

Quelle: Lony Eichenberger: Die Wohnsituation der alleinstehenden, erwerbstätigen Mutter: Eine Erhebung in der Stadt St. Gallen. Diplomarbeit der Ostschweizerischen Schule für Soziale Arbeit St. Gallen 1971.