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Somazzi Stiftung

Seit 1966 vergibt die Somazzi Stiftung jährlich einen Preis an Frauen oder Frauenorganisationen, die sich für Geschlechtergleichstellung, für Bildung und Erziehung, für Friede und Freiheit, für Menschenrechte und Menschenwürde einsetzen. [Q1]

Maria Felchlin, erste praktizierende Ärztin des Kantons Solothurn und Präsidentin der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft „Frau und Demokratie“, gründete 1964 die Somazzi-Stiftung und stiftete den Förderpreis. Sie gedachte damit ihrer langjährigen Weggefährtin, der Pädagogin, Humanistin und Frauenrechtlerin Ida Somazzi.

Ida Somazzi (1882-1963) arbeitete als Leiterin einer Primarschule in Argentinien, als Sekundarlehrerin in Bolligen und als Lehrerin am stadtbernischen Lehrerinnenseminar. Sie gehörte 1933 zu den Mitgründerin der Arbeitsgemeinschaft „Frau und Demokratie“ und amtierte seit 1948 als deren Präsidentin. Ab 1921 sass sie im Exekutivausschuss und im Vorstand der Schweizerischen Völkerbundsvereinigung sowie ihrer Nachfolgerin, der Schweizerischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (UNO), deren Erziehungskommission sie bis 1947 leitete. 1948 übernahm Ida Somazzi das Präsidium der Studienkommission für Frauenfragen der UNO und der Unesco. 1949 nahm sie Einsitz in der Schweizerischen Unesco-Kommission. Sie engagierte sich in der Schweizer Europahilfe, im Stiftungsrat für das Pestalozzidorf und beim Bund Schweizerischer Frauenvereine.

Die Sommazzi Stiftung prämiert Arbeiten, die im Sinne von Ida Somazzi einen Beitrag in den Bereichen Bildung, Erziehung, Friedensarbeit, Menschenrechte und Demokratie leisten bzw. sich politisch oder künstlerisch mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen auseinandersetzen. In ihrer Gründungszeit bezweckte die Stiftung auch Publikationen zur Förderung der Geistigen Landesverteidigung zu honorieren. Den ersten Preis verlieh sie der Juristin und Autorin Alice Meyer für ihr Buch „Anpassung oder Widerstand – Die Schweiz zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus“. Seit Ende der 1960er Jahr spielte die Geistige Landesverteidigung in der offiziellen Schweiz keine Bedeutung mehr. Entsprechend strich der Stiftungsrat diesen Förderbereich aus den Statuten. [Q2, Q3]

Bis Mitte der 1980er Jahre arbeitete die Stiftung eng mit der Arbeitsgemeinschaft „Frau und Demokratie“ zusammen. Die Verleihung des Somazzi-Preises fand jeweils im Anschluss an die Delegiertenversammlung von „Frau und Demokratie“ statt. [Q4]

1985 entschied der Stiftungsrat, die Preisverleihung unabhängig von „Frau und Demokratie“ durchzuführen, um dem Anlass mehr Gewicht zu verleihen und um die Resonanz in der Presse zu erhöhen. [Q5] Die Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft reagierte bestürzt und verwies sie auf die Bedeutung der Arbeitsgemeinschaft als Gründerin der Stiftung. [Q6] Der Stiftungsrat blieb bei seinem Entscheid und führte die Preisverleihung 1985 erstmals als eigenständigen Anlass durch. Ab 1990 strebte der Stiftungsrat wieder eine bessere Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft an. Er knüpfte an die alte Tradition an und verlieh den Somazzi-Preis 1992 im Anschluss an die Herbsttagung von „Frau und Demokratie“. Die Arbeitsgemeinschaft „Frau und Demokratie“ wurde 1998 aufgelöst. Die Somazzi Stiftung blieb um eine Anbindung an eine grössere Organisation bemüht. Seit 2010 wird der Somazzi-Preis im Rahmen der Delegiertenversammlung von alliance F vergeben.

Die Stiftung verleiht den Somazzi-Preis an Akteur*innen aus Wissenschaft, Journalismus, Politik und Kultur. Zu den ersten Preisträger*innen gehörten u. a. der Historiker Edgar Bonjour (1968), die Philosophin Jeanne Hersch (1970), die Journalistin und Frauenrechtlerin Gerda Stocker-Meyer (1973) und die Schauspielerin Elsie Attenhofer (1978). [Q7] Die Würdigung von Frauen war von Beginn an ein wichtiges Anliegen der Stiftung. Bis 1985 prämierte sie aber auch Männer für ihr gesellschaftliches Engagement. Seit den 1990er Jahren wird der Somazzi-Preis ausschliesslich an Frauen und Frauenorganisationen verliehen.

Mit der Wahl der Preisträger*innen wirkt die Stiftung generationenübergreifend. Sie schafft einen Raum, in dem sowohl Frauenrechtlerinnen „der ersten Stunde“ als auch jüngere Aktivistinnen, Politikerinnen, Künstlerinnen und Journalistinnen für ihre gesellschaftlichen Beiträge gewürdigt werden. [Q8, Q9] Sie macht die pionierhafte und langatmige Arbeit von frühen Feministinnen wie Marie Böhlen (1985) oder Gertrud Heinzelmann (1992) sichtbar. Gleichzeitig ehrt sie die wissenschaftlichen, künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Leistungen von Frauen in der Gegenwart, beispielsweise mit der Vergabe des Somazzi Preises an die Rapperin Steff la Cheffe (2014), an die feministische Theoretikerin Tove Soiland (2016) oder an die syrische Menschenrechtsaktivistin Amal Naser (2017). [Q10, Q11, Q12] Jüngere Preisträgerinnen deuteten den Preis auch als Brückenschlag über den vermeintlichen Graben zwischen älteren und jüngeren Feministinnen. „Dass die Auszeichnung genau aus der Ecke der gestandenen Feministinnen kommt, finde ich – uuschön!“, sagte die Autorin und Journalistin Michèle Roten anlässlich ihrer Preisverleihung 2012. „Ich hatte nämlich, als ich das Buch [Wie Frau sein, 2011, Anm. der Autorin] geschrieben habe, eine Riesenangst davor, dass die sagen würden: Du gehörst im Fall nicht zu uns. Dass sogar das Gegenteil eintraf und sie sagten: Das ist gut, was du machst, das freut mich wahnsinnig.“ [Q13]

Die ersten Preisträger*innen waren Einzelpersonen. Zu den späteren Preisträgerinnen gehörten dann auch Vereine und Kollektive wie die Herausgeberinnen von „Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik“ (2001), das Fraueninformationszentrum (2004), Bla*sh, Kollektiv Schwarzer Frauen in der Deutschschweiz (2019) oder die Klimaseniorinnen (2024). Mit Zainap Gaschaeva (2011), Präsidentin der tschetschenischen Hilfs- und Menschenrechtsorganisation „Echo des Krieges“, und Yin Yuzhen (2013), Bäuerin und Baumpflanzerin in der Mu Us-Wüste in der Inneren Mongolai, wurden erstmals Frauen für ihr Engagement ausserhalb der Schweiz gewürdigt. (sb)

Quellen

Q1: https://www.somazzi-stiftung.ch/somazzi-stiftung (15.8.2024).

Q2: AGoF 206-01: Stiftungsurkunde, 12.12.1964. (PDF)

Q3: AGoF 206-01: Statuten 25.3.2011. (PDF)

Q4: AGoF 206-04: Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie, Einladung zum 57. staatsbürgerlichen Informationskurs und zur Preisverleihung der Dr. Ida-Somazzi-Stiftung am November 1983. (PDF)

Q5: AGoF 206-05: Notiz „Durchführung der Preisverleihung 1985“, 12.2.1985. (PDF)

Q6: AGoF 206-05: Schreiben Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie, 13.5.1985.

Q7: https://www.somazzi-stiftung.ch/preistr%C3%A4gerinnen-und-preistr%C3%A4ger (15.8.2024).

Q8: AGoF, 206-03: Sitzung des Stiftungsrates, 6.11.1980. (PDF)

Q9: AGoF, 206-06: Ausschusssitzung, 9.8.1990. (PDF)

Q10: AGoF, 206-15: Preisurkunde Steff la Cheffe, 2014. (PDF)

Q11: AGoF, 206-15: Preisurkunde Tove Soiland, 2016. (PDF)

Q12: AGoF, 206-03: Sitzung des Stiftungsrates, 6.11.1980. (PDF)

Q13: Monika Zech, „Eigentlich braucht es Mütterquoten“, in: Tageswoche, Nr. 34, 24.8.2012, 31.